Der Versorgungsbereich im Überblick

Interdisziplinär und sektorenverbindend sind Kennzeichen der ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung (ASV). Doch wie funktioniert der neue Versorgungsbereich? Wer übernimmt die Behandlung der Patienten, wie sind die Strukturen und wer arbeitet mit wem zusammen? Wir stellen Ihnen die wichtigsten Regeln vor.
Die Erkrankungen
Die ASV umfasst die Diagnostik und Behandlung von:
Erkrankungen mit besonderem Krankheitsverlauf, zum Beispiel onkologische und rheumatologische Erkrankungen
Schweren Verlaufsformen von Erkrankungen mit besonderen Krankheitsverläufen, zum Beispiel Herzinsuffizienz (NYHA Stadium 3–4) und Multiple Sklerose
Seltenen Erkrankungen und Erkrankungszuständen mit geringen Fallzahlen, zum Beispiel Tuberkulose, Marfan- Syndrom, pulmonale Hypertonie und Mukoviszidose
Hochspezialisierten Leistungen, zum Beispiel CT-/MRT-gestützte interventionelle schmerztherapeutische Leistungen
Die Patienten: ASV für wen
Die ambulante spezialfachärztliche Versorgung stellt ein Angebot für Menschen dar, die an einer komplexen, schwer therapierbaren Krankheit leiden, deren Behandlung besonders hohe Anforderungen an die Ärzte stellt. Um welche Indikationen es sich handelt, hat der Gesetzgeber im Paragraf 116 b SGB V festgelegt. Der Gemeinsame Bundesausschuss kann diesen Katalog ergänzen. Die Teilnahme an der ASV ist für die Patienten freiwillig.
Das Besondere am Angebot
Die Behandlung übernehmen Teams von Spezialisten unterschiedlicher Fachrichtungen, die hohe Qualitätsanforderungen erfüllen müssen. Sie können bei Bedarf weitere Ärzte und Psychotherapeuten hinzuziehen, um die Patienten so individuell wie möglich zu versorgen. In den Teams können niedergelassene Fachärzte und Krankenhausärzte zusammen arbeiten. Welche Ärzte dem ASV-Team angehören müssen, ist für jede Krankheit genau festgelegt – ebenso die erforderlichen Kooperationen, beispielsweise mit sozialen oder palliativmedizinischen Diensten.
Diese Ärzte übernehmen die Behandlung
Zur ASV berechtigt sind niedergelassene Fachärzte, Medizinische Versorgungszentren, Berufsausübungsgemeinschaften, gegebenenfalls ermächtigte Ärzte und Krankenhäuser:
Wenn die Anforderungen und Voraussetzungen der ASV-Richtlinie erfüllt werden.
Wenn das gegenüber dem erweiterten Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen unter Beifügung entsprechender Belege angezeigt worden ist.
Im Einzelfall können Ärzte des hausärztlichen Versorgungsbereichs an der ASV teilnehmen (zum Beispiel bei der geplanten Ausgestaltung der HIV-/ Aids-Versorgung). Auch Psychologische Psychotherapeuten können zur Behandlung hinzugezogen werden.
Hinweis: Die Ärzte sind in der Regel nicht nur in der ASV tätig: Ein Lungenfacharzt zum Beispiel, der in einem ASV- Team Patienten mit Tuberkulose behandelt, betreut in seiner Praxis weiterhin Patienten mit anderen Erkrankungen.
Anzeige beim erweiterten Landesausschuss
Ärzte und Krankenhäuser, die für eine bestimmte Indikation an der ASV teilnehmen wollen, zeigen dies dem erweiterten Landesausschuss als Team an. Der Ausschuss prüft, ob die Teams und deren Mitglieder die Voraussetzungen erfüllen. Er hat dafür zwei Monate Zeit. Die Frist beginnt mit Einreichen der Unterlagen, frühestens allerdings mit Veröffentlichung des jeweiligen Beschlusses im Bundesanzeiger. Die ASV-Berechtigung gilt immer nur für eine bestimmte Indikation, nicht für alle ASV-Krankheitsbilder.
Ort der Behandlung
Die Behandlung erfolgt in den Praxen der jeweiligen ASV-Ärzte beziehungsweise in den Räumen der teilnehmenden Krankenhäuser. Die Teammitglieder müssen nicht unter einem Dach tätig sein. Sie können an unterschiedlichen Orten praktizieren. Um den Patienten möglichst lange Wege zu ersparen, sollen sie in angemessener Nähe zum Teamleiter praktizieren.
Sektorenverbindende Kooperation
Die ASV fördert die Zusammenarbeit von Praxis- und Klinikärzten. Bei der Behandlung von Krebspatienten schreibt die ASV-Richtlinie sogar den Abschluss von Kooperationsvereinbarungen mit dem jeweils anderen Sektor vor. Das bedeutet, dass in das Team mindestens ein Arzt aus dem anderen Sektor einbezogen werden muss. So könnte zu dem Kernteam aus niedergelassenen Ärzten ein Chirurg aus dem Krankenhaus gehören.
Zusammensetzung & Aufgaben
ASV-Team | ||
Ebene 1 Teamleitung | Ebene 2 Mitglieder Kernteam | Ebene 3 Hinzuzuziehende Fachkräfte |
Der Teamleiter koordiniert die ambulante spezialfachärztliche Versorgung fachlich und organisatorisch. Bei ihm laufen alle Fäden zusammen; er ist für die Patienten der erste Ansprechpartner. Die Aufgabe des Teamleiters übernimmt in der Regel der Facharzt, der die Patienten aufgrund seiner Fachkunde schwerpunktmäßig betreut, zum Beispiel bei der Tuberkulose der Pneumologe. | Die Mitglieder des Kernteams sind Fachärzte, die aufgrund ihrer Kenntnisse und Erfahrungen bei der Behandlung der jeweiligen Krankheit mitwirken. Sie arbeiten eng mit dem Teamleiter zusammen. Es ist vorgesehen, dass die Mitglieder des Kernteams bei Bedarf an mindestens einem Tag in der Woche eine Sprechstunde in der Praxis des Teamleiters anbieten. | Hinzuzuziehende Fachärzte und Psychotherapeuten sind solche, deren Kenntnisse und Erfahrungen typischerweise bei einem Teil der Patienten ergänzend benötigt werden. Ihr Tätigkeitsort muss ebenfalls in angemessener Entfernung von der Praxis des Teamleiters liegen. |
Kernteam |
Qualitätssicherung
Schon der Name ambulante spezialfachärztliche Versorgung verdeutlicht, dass die Teilnahme besondere fachärztliche Qualifikationen voraussetzt. Die Teammitglieder müssen über ausreichend Erfahrung in der Behandlung der Erkrankungen verfügen und sich auf dem Gebiet regelmäßig fortbilden. Es ist vorgesehen, dass der G-BA eine eigene sektorenübergreifende Qualitätssicherungs-Anlage für die ASV erarbeitet. Damit sollen auf Basis der Qualitätsanforderungen für Vertragsärzte nach Paragraf 135 Absatz 2 SGB V die Anforderungen für an der ASV teilnehmende Vertragsärzte und Krankenhäuser geregelt werden.
Sächliche und organisatorische Anforderungen
Der Gemeinsame Bundesausschuss legt für jede Erkrankung fest, welche Anforderungen das ASV-Team erfüllen muss. Diese können von Geräten zur bildgebenden Diagnostik über eine 24-Stunden-Notfallversorgung bis zum Vorhalten einer Intensivstation reichen. Doch nicht alles kann und muss das Team selbst vorhalten. Es reicht, wenn die Ärzte mit Einrichtungen (zum Beispiel Krankenhäusern) kooperieren, die das Geforderte bereitstellen.
Facharztstatus versus Facharztstandard
Die Teammitglieder sind allesamt Fachärzte (Facharztstatus). Sie sind verpflichtet, die Diagnosestellung und leitende Therapieentscheidungen persönlich zu treffen. Ärzte in Weiterbildung können in die Behandlung einbezogen werden (Facharztstandard) – jedoch nur unter Verantwortung eines Teammitglieds, das zur Weiterbildung befugt ist. Dies gilt für Praxen genauso wie für die Krankenhäuser, die an der ASV teilnehmen.
Vertretung
Die Mitglieder des Teams können sich bei Krankheit, Urlaub etc. vertreten lassen. Der Vertreter muss dieselben Anforderungen erfüllen wie der ASV-Arzt, der sich vertreten lässt. Dauert die Vertretung länger als eine Woche, ist sie dem erweiterten Landesausschuss und der ASV-Servicestelle mitzuteilen.
Überweisungen
Die Überweisung in den ASV-Bereich kann je nach Indikation für ein oder für mehrere Quartale erfolgen. Zum Zeitpunkt der Überweisung muss eine gesicherte Diagnose vorliegen, bei seltenen Erkrankungen und rheumatologischen Erkrankungen reicht eine Verdachtsdiagnose. Der ASV-Arzt informiert seinen überweisenden Kollegen über die Aufnahme und den Abschluss der ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung.
Soll ein Patient von einem ASV-Team betreut werden, dem auch sein behandelnder Arzt angehört, so muss ihm dieser keine Überweisung ausstellen. Dies gilt ebenso, wenn Patienten nach einem stationären Aufenthalt von einem ASV-Team der Klinik weiterbehandelt werden. Auch zwischen den Mitgliedern des ASV-Kernteams (erste und zweite Ebene) sind keine Überweisungen erforderlich, sondern nur, wenn ein ASV-Facharzt aus der dritten Ebene hinzugezogen wird.
Behandlungsumfang
Zum Behandlungsumfang gehören EBM-Leistungen sowie ausgewählte neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (Stichwort: Verbotsvorbehalt). Welche Leistungen das sind, wird für jede Erkrankung in der jeweiligen Anlage zur ASV-Richtlinie festgelegt: In einem „Appendix“ sind alle Gebührenordnungspositionen aufgeführt, die für die jeweilige Erkrankung abgerechnet werden können. Dort stehen auch die Leistungen, die noch nicht Bestandteil des EBM sind und trotzdem in der ASV abgerechnet werden dürfen.
Abrechnung und Vergütung
Die Vergütung ist für Praxis- und Klinikärzte einheitlich. Alle Leistungen werden zu festen Preisen bezahlt, extrabudgetär und ohne Mengenbegrenzung. Die Vergütung der ASV-Leistungen des Abschnitts 1 des Appendix erfolgt auf der Grundlage des EBM.
Die noch nicht im EBM abgebildeten ASV-Leistungen des Abschnitts 2 des Appendix werden nach der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) oder den Pauschalen der Onkologie-Vereinbarung honoriert. Dies gilt übergangsweise solange, bis die Abschnitt-2-Leistungen in den Bereich VII des EBM aufgenommen wurden. Darin stehen alle Gebührenordnungspositionen, die ausschließlich im Rahmen der ASV berechnungsfähig sind.
Jeder Arzt rechnet seine ASV-Leistungen selbst ab. Es gibt also keine Sammelabrechnung für das ASV-Team. Mehr dazu unter Abrechnung und Vergütung.
Verordnungen und Formulare
Ärzte nutzen in der ASV grundsätzlich die Formulare, die sie auch in der vertragsärztlichen Versorgung verwenden. Einen Sonderfall stellt die Verschreibung von Arzneimitteln dar: Hier ist in der ASV ein eigener Rezeptblock zu nutzen, den Ärzte ebenfalls über die bekannten Vertriebswege für Vordrucke anfordern. Auch die ASV-Verordnungen unterliegen dem Prinzip der Wirtschaftlichkeit. Mehr dazu unter Verordnungen und Formulare in der ASV.
ASV-Teamnummer
Jedes Team erhält eine einheitliche ASV-Teamnummer. Sie ist ein bundesweit eindeutiges Identifikationsmerkmal. Vergeben wird sie von der ASV- Servicestelle im Zuge der Registrierung des Teams im ASV-Verzeichnis.
Wissen für nicht-ASV-Ärzte
ASV im Praxisalltag
Vertragsärzte behandeln nicht selten Patienten mit schweren Erkrankungen. In bestimmten Fällen kann es sinnvoll sein, ein ASV-Team in die Behandlung einzubeziehen. Auch Ärzte, die nicht in der ASV tätig sind, sollten deshalb das Angebot kennen. Hier erfahren Sie, was Sie als Arzt wissen sollten, wenn Ihre Patienten spezialfachärztlich versorgt werden.
ASV-Patienten | In der ASV werden nur Patienten behandelt, die an einer komplexen, schwer therapierbaren Krankheit leiden, die zum Beispiel eine spezielle Qualifikation und interdisziplinäre Zusammenarbeit erfordert. |
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Behandlung | Es wird „nur“ die ASV-Erkrankung des Patienten behandelt. Alle anderen Erkrankungen, zum Beispiel ein grippaler Infekt oder ein Beinbruch, werden behandelt wie bisher – außerhalb der ASV. |
Überweisung/Überweisungsschein | Patienten, die in der ASV behandelt werden, benötigen in der Regel eine Überweisung des behandelnden Arztes. Für die Überweisung in die ASV verwenden Ärzte wie gewohnt den Überweisungsschein (Formular 6) und machen dort die Angaben zu Diagnose/Verdachtsdiagnose, Befund/Medikation, Auftrag. |
ASV-Verzeichnis | Um ein passendes ASV-Team zu finden, können Ärzte im ASV-Verzeichnis recherchieren. Darin werden alle berechtigten Teams und ihre Mitglieder gelistet, die einer Veröffentlichung zugestimmt haben. |
Teilnahme | Die ASV stellt ein Angebot dar. Patienten, die sich dafür entscheiden, erklären sich bereit, die Ärzte des jeweiligen ASV-Teams zu konsultieren. Eine Teilnahmeerklärung müssen sie nicht unterschreiben. |
Gesicherte Diagnose/Verdachtsdiagnose | Zum Zeitpunkt der Überweisung in den neuen Versorgungsbereich muss eine gesicherte Diagnose vorliegen. Bei seltenen und rheumatologischen Erkrankungen reicht eine Verdachtsdiagnose. |
Arztbrief | Der überweisende Arzt wird über die Aufnahme des Patienten in die ASV informiert. Nach Abschluss der Behandlung in der ASV erhält er einen Überleitungsbrief für seinen Patienten. Dieser enthält Angaben zu Diagnosen, Therapievorschlägen inklusive Medikation, Heil- und Hilfsmittelversorgung, häuslicher Krankenpflege sowie Kontrollterminen. |
Stand 08/2018
Quelle: Praxiswissen